Nur ein Teil der Parteiprominenz, die aus Berlin mit dem Flugzeug anreisen wollte, schaffte es nicht. So musste die Konferenz ohne den angekündigten aktuellen Vorsitzenden Bernd Riexinger und seinen Vorgänger im Amt Klaus Ernst auskommen. “Zug statt Flug!”, der hessische Landesvorspitzende Ulrich Wilken konnte sich diese kleine Lästerei, Bezug nehmend auf die Auseinandersetzung um den Ausbau des Frankfurter Flughafens, in seinem Grußwort nicht verkneifen. Ansonsten verwies er auf die besondere Situation in Hessen, wo zeitgleich mit den Bundestags- auch die Landtagswahlen stattfinden werden.
Inhaltlich zur Sache ging es dann beim Gastbeitrag des politischen Geschäftsführers des DGB Hessen-Thüringen Frank Herrmann. Lobend hob der Gewerkschaftler hervor, dass der Programmentwurf gerade in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik viele Überschneidungen mit den Forderungen der Gewerkschaften aufweise. Er halte es für wichtig, dass die Linke wieder im neuen Bundestag ebenso wie im hessischen Landtag vertreten sei. Gleichzeitig mahnte Hermann aber auch an, die Linke müsse anschlussfähig gegenüber den anderen Parteien bleiben.
Es sei nicht gut, wenn ein Wettstreit darum, wer die weitestgehenden Forderungen habe, dazu führe, dass mögliche Mehrheiten im Bundestag für eine sozialere und arbeitnehmerfreundlichere Politik verspielt würden. In der anschließenden Diskussion wandten viele Redner ein, dass es bisher ausschließlich an SPD und Grünen gelegen habe, dass keine Mehrheiten z.B. für einen flächendeckenden Mindestlohn zustande gekommen seien. Selbst die von ihnen selbst formulierten Forderungen zum Mindestlohn habe die SPD im Bundestag abgelehnt, als die Linke sie als Antrag eingebracht habe.
Christine Buchholz (MdB), die gerade erst wieder als Direktkandidatin für den Offenbacher Wahkreis wiedergewählt wurde, fiel die Rolle zu, den Entwurf des Bundesvorstands kurz vorzustellen Sie fand es auch wichtig, dass die Linke mit ihren eigenen Forderungen, wie einen armutsfesten Mindestlohn antrete, und nicht mit möglichen vorweggenommenen Kompromissformeln.
Als wenig hilfreich kritisierte sie auch vereinzelte Vorstöße aus Reihen der Linken in Richtung einer möglichen Zusammenarbeit mit SPD und Grünen im nächsten Bundestag. Ein Blick auf die wichtigsten Forderungen der Linken mache deutlich, wie groß die Unterschiede zwischen den Parteien noch sind. Das gilt insbesondere für den Kanzlerkandidaten der SPD, den Agenda 2010-Politiker Peer Steinbrück. Die Schwerpunkte des Programmentwurfs “100 Prozent sozial” liegen auf die Themenfelder gute Arbeit, soziale Gerechtigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, Friedenspolitik und demokratische Teilhabe. Wichtige Einzelforderungen sind z.B. ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn mit einer Einstiegshöhe von 10 €, armutsfeste Renten, eine Rücknahme der Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, keine Bundeswehreinsätze im Ausland und der sozial-ökologischer Umbau der Wirtschaft.
Im zweiten Teil des Kongresses wurde dann in Arbeitgruppen weiter diskutiert. Eine der Gruppen beschäftigte sich mit Krisenpolitik, Friedens- und Außenpolitik. Nach den Einstiegsbeiträgen der beiden hessischen Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz und Wolfgang Gehrke gab es zahlreiche Anregungen zur Ergänzung oder Veränderung des Programmentwurfs. So wurde vorgeschlagen, statt von einer “friedlichen Durchsetzung von Menschenrechten” in anderen Ländern zu sprechen, lieber das Augenmerk auf die strukturelle Gewalt in Form von Armut durch die krasse Ungleichverteilung der Vermögen zwischen den Ländern der Welt zu richten. Andere Diskutanten forderten in diesem Zusammenhang müsse deutlich die imperialistische Politik der reichen Staaten benannt werden.
Mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln setzten die reichen Ländern ihre wirtschaftlichen Interessen in der Welt durch. Aktuell werde dabei vermehrt auf Stellvertreterkriege gesetzt, bei denen Verbündete mit modernen Waffen versorgt werden. Bei der Positionierung zur NATO dürfe das Wahlprogramm nicht hinter das Parteiprogramm zurückfallen, wo ein Austritt Deutschlands aus den militärischen Strukturen der NATO und perspektivisch deren vollständige Auflösung gefordert wird.
Eine zweite Gruppe diskutierte unter Leitung von Janine Wissler den Programmteil, der sich mit den Fragen von guter Arbeit, Verteilungspolitik und sozialer Gerechtigkeit in einer solidarischen Gesellschaft beschäftigt. Hier wurde unter anderem angeregt, der von Abstiegsängsten geplagte soziale Mittelschicht und auch Selbständigen und KleinunternehmerInnen mehr aum im Programm zukommen zu lassen. Hinweis auf die zentrale Bedeutung eines schlüssigen finanzpolitischen Konzeptes für die Glaubwürdigkeit und Umsetzbarkeit unserer sozial- und verteilungspolitischen Forderungen gab es auch Wünsche zur Ergänzung und Präzisierung des Abschnitts „Mit Steuern umsteuern: Reichtum ist teilbar“.
In einem weiteren Diskussionsstrang ging es um die Krisenpolitik in Europa. Die Forderung nach einem anderen, solidarischen Umgang mit der Krise, der auch die Menschen im Süden Europas nicht im Stich lasse, müsse einen breiteren Raum im Programm einnehmen.