Unsere Fraktionsvorsitzenden Gizem-Erinç-Çiftçi und Marion Guth haben sich die diesjährige Haushaltsrede geteilt:
Gizem Erinç-Çiftçi:
„Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher, liebe Kolleg*innen, liebe Offenbacher*innen,
an erster Stelle möchte ich den Mitarbeitenden der Stadtverwaltung für ihre Arbeit bedanken, für die Anstrengungen einen genehmigungsfähigen Haushalt
aufzustellen, insbesondere für die schnellen Antworten zu unseren Fragen und dafür, dass sie teilweise noch gestern zu später Stunde im Büro waren und die Änderungsanträge zu bearbeiten. Herzlichen Dank!
Wir stehen heute hier, um über einen Haushalt zu beraten, der erneut von schmerzhaften Kürzungen geprägt ist. Kürzungen, die uns in der Kommunalpolitik immer wieder vor die Frage stellen: Wie können wir überhaupt noch das Notwendigste finanzieren? Und das wird uns nicht nur im Jahr 2025 verfolgen, sondern auch die nächsten Jahre.
Bevor ich nun zum Offenbacher Haushalt komme, möchte ich einige Vorbemerkungen machen. Das erscheint notwendig, angesichts der aktuellen bundesdeutschen Debatten und der hier stattfindenden Haushaltsberatungen. Es ist wichtig, den Zusammenhang zwischen beiden deutlich zu machen, denn die finanzielle Situation unserer Stadt ist kein isoliertes Problem, sondern auch das Ergebnis des jahrzehntelangen Politikversagens auf Bundesebene.
Wirklich jedes Jahr hören wir, dass der Magistrat mit all seinen Mitteln Druck auf die Bundesregierung ausübt.
Immer wieder wurden in den letzten Jahren von lokalen Vertreterinnen und Vertretern der Regierungsparteien auf Bundesebene beklagt, dass die Anforderungen an die Stadt kontinuierlich steigen, aber kein Geld da ist – sei es z.B. für Investitionen, beim Ausbau der Ganztagsbetreuung, der Integrations- und Sprachförderung oder anderen Förderangeboten. Es werden immer wieder die Konsequenzen für Entscheidungen des Bundes beklagt, ja dass Berlin nicht genug Mittel zur Verfügung stellt.
Das ist natürlich völlig korrekt, jedoch wird immer wieder vergessen, meine Damen und Herren, es sind ihre Parteien, die im Bund seit Jahren einen brutalen Sparkurs fahren, die Austeritätspolitik vorantreiben. Und verbessert sich unsere Lage? Nein, im Gegenteil. Unsere Kommunen werden sehenden Auges in die Handlungsunfähigkeit getrieben!
Es sind die finanzpolitischen Entscheidungen ihrer Parteien, die das Fundament unserer Gesellschaft untergraben! Und da dürfte doch mal die Frage erlaubt sein, sprechen sie denn in ihren Parteien überhaupt miteinander?
Die Bundesregierungen, bestehend aus ihren Parteien, scheren sich seit jeher einen feuchten Kehricht darum, was mit unserer Stadt und anderen Städten in ähnlichen finanziellen Situationen passiert.
Die finanziellen Hilfen, die auf Bundesebene beschlossen wurden, waren unzureichend, fast schon zynisch. Dabei liegen die Fakten doch auf dem Tisch: Die Sparpolitik, die seit Jahren wie ein Dogma über Deutschland schwebt, reißt unsere Gesellschaft auseinander. Sie ist sozialer Sprengstoff! Während im Bund über die schwarze Null debattiert wird, sind es die Städte und Gemeinden, die den Alltag organisieren müssen – von Schulen und Kitas über den öffentlichen Nahverkehr bis hin zur sozialen Daseinsvorsorge. Doch genau dafür fehlen die finanziellen Mittel. Statt handlungsfähiger Kommunen erleben wir seit Jahren eine Politik, welche das soziale Fundament und die Infrastruktur dieses Landes ausbluten lässt.
Und am Ende sind es die Kommunen, die den Menschen erklären müssen, warum vermeintliche Selbstverständlichkeiten plötzlich nicht mehr funktionieren, warum Leistungen gekürzt werden und warum die Stadt sparen muss – obwohl genug Geld da ist. Lassen Sie es mich an dieser Stelle eines ganz deutlich sagen: Es ist genug Geld in diesem Land da! Die Frage ist nicht, ob wir es haben – sondern wem es zugutekommt. Der Mangel, den wir hier vor Ort spüren, ist kein Naturgesetz – er ist politisch herbeigeführt!
Man möchte also weder eine Vermögenssteuer einführen noch die Schuldenbremse abschaffen. Und wem hilft das? Ganz sicher nicht den nachfolgenden Generationen, die man ja unbedingt vor allen Arten Schulden schützen will. Wer profitiert von einem Staat, der sich immer weiter aus seiner Verantwortung zurückzieht, der eigentlich in die Zukunft investieren müsste? Die Rechtspopulisten!
Es gibt mittlerweile zahlreiche Studien, die belegen, dass genau dieser Sparkurs das Wachstum rechter Parteien begünstigt.
Schauen sie sich doch mal die Wahlergebnisse in Kaiserslautern, Gelsenkirchen oder Chemnitz an. Abgehängte Kommunen sind ein ideales Einfallstor für jene, die sich als Retter der Demokratie inszenieren, diese in Wahrheit aber zu Grabe tragen wollen. Wenn das Selbstverständliche nicht mehr funktioniert, wo die öffentliche Daseinsvorsorge zusammenbricht, da gedeihen Frust und Wut. Das ist ein Nährboden für die extreme Rechte. Wer das nach bundesweit über 20 Prozent immer noch nicht verstanden hat, dem kann man wirklich nicht mehr helfen!
Die Schuldenbremse und der damit einhergehende Investitionsstau müssen endlich abgeschafft werden. Wir brauchen keine Ausnahmeregelung für Rüstung, wir brauchen kommunale Handlungsspielräume. Für eine nachhaltige Stadtentwicklung, statt ständiger Behelfslösungen. Dafür werden wir auch mehr brauchen als das, was von den 100 Milliarden für die Länder letztendlich bei uns ankommt.
Jetzt möchte ich von den Rahmenbedingungen zu unserem städtischen Haushalt zurückkommen: Wie schafft man es, bei einer derart angespannten Haushaltslage einen genehmigungsfähigen Haushalt vorzulegen? Eigentlich gar nicht, wenn da nicht der Herbsterlass 2024 der Landesregierung wäre, der globale Minderausgaben im kommunalen Haushalt möglich machte.
Was bedeuten diese globalen Minderausgaben? Die Kommunen wurden verpflichtet, ihre Ausgaben pauschal um einen Prozentsatz zu reduzieren, ohne dass spezifische Kürzungen für einzelne Bereiche vorgegeben wurden.
Im Haushalt 2025 ist nun eine „Pauschale Minderausgabe“ von 13,5 Mio Euro vorgesehen. Dabei muss die Verwaltung sicherstellen, dass Ausgaben um diesen Betrag reduziert werden. Das ist eine Verschiebung der Verantwortung und von schwierigen Entscheidungen auf die Verwaltung.
Dabei ist es eigentlich Sache des Kämmerers, den Ämtern ausreichend viel Geld für ihre Aufgaben zuzuteilen. Das Resultat ist ein weiter erhöhter Spardruck bei allen Ämtern, die langsam nichts mehr haben an dem sie noch sparen könnten.
Zusätzlich war geplant, die Hessenkassenbeiträge für 2025 und 2026 in Höhe von 6,2 Millionen Euro zu stunden, was jedoch nicht geklappt hat. Damit sind jetzt alle Kaninchen aus dem Hut und nächstes Jahr wird es – sagen wir mal – „interessant“. Was bleibt, ist die zu erwartende Grundsteuererhöhung – mal wieder auf Kosten der Mieter*innen.
Übrigens wird schon die Grundsteuerreform dafür sorgen, dass einige Mieter*innen eine Nebenkostensteigerungerfahren werden. Die hier als erfreulich kundgetane Nachricht, dass die Neuberechnung der Grundsteuer in 60% der Fälle eine niedrigere Grundsteuerlast ergebe, bedeutet: Die restlichen 40 % werden das auffangen müssen, was die andern nun weniger zahlen, da wir ja in der Summe gleichbleibenden Einnahmen haben.
Wir werden verfolgen, wie sich das nun auf die ohnehin schon hohen Mieten auswirken wird.
Müssen wir diesen Weg wirklich weitergehen? Während die Grundsteuererhöhung immer mit ganz viel Bauchschmerzen doch irgendwann kommen, scheint die Gewerbesteuer ein heiliger Gral zu sein, an den man unter keinen Umständen dran geht. Seit 2008 profitieren Unternehmen in Offenbach von stabilen Bedingungen. Vielleicht sollte man auch mal darüber nachdenken, von der Wirtschaft einen gerechten Beitrag zu fordern? Wie soll es weitergehen? Sehr oft wurden gute Ideen, die unsere Stadt nachhaltig verbessert hätten, abgelehnt mit dem Verweis auf die Haushaltslage. Dabei ist es eine einfache Wahrheit: Wer immer nur spart, spart sich die Zukunft kaputt.
Im HFDB wurde Anfang des Jahres über die prognostizierte dramatische Zunahme der städtischen Verschuldung berichtet. Und das trotz all der Entbehrungen. Wie lange wird es dauern, bis man hier und im Rest der Republik endlich kapiert hat, dass man nur mit Investitionen aus Rezessionen entkommen kann, nicht durch das Kaputtsparen dessen, was noch da ist? Austerität funktioniert nicht, Offenbach ist der Beweis!
Wir brauchen eine Abkehr von dieser verfehlten Politik. Investitionen in Infrastruktur, Bildung und nachhaltige Stadtentwicklung sind keine optionalen Luxusgüter, sondern Grundvoraussetzungen für eine funktionierende Kommune. Den vom Magistrat verhängten Stellenstopp sehen wir sehr kritisch. Insgesamt zeigt uns der Stellenplan zwar, dass es einen Zuwachs geben wird, dazu zählen aber zum Beispiel auch Stellen im Rettungsdienst, den die Stadt Offenbach in Zukunft alleine stemmen muss. Ohne Personalzuwachs kann die Versorgung nicht sichergestellt werden. Also kommen diese Stellen nur zustande, weil die Stadt dazu gezwungen ist.
Durch den bereits 2024 verhängten Stellenstopp werden 2025 nur 14 von 160 angemeldeten neuen Stellen geschaffen, das bedeutet beim überwiegenden Teil des von den Ämtern angemeldeten Bedarfs, senkt der Magistrat den Daumen.
Die Menschen in Offenbach werden das zu spüren bekommen und ich glaube man untertreibt damit, wenn man es so verkaufen will, dass es hier und da mal zu längeren Wartezeiten kommen wird. Nicht nur im Jugendamt oder in der Ausländerbehörde ist die Personaldecke auf Kante genäht, die Arbeitsbelastung jetzt schon sehr hoch. Man erkauft sich diese „Einsparungen“ also auf dem Rücken des Personals und gleichzeitig können lange Bearbeitungszeiten nicht nur eine kleine Unannehmlichkeit für Bürger*innen bedeuten, sondern auch echte soziale Notlagen verschärfen.
Gleichzeitig müssen dann über eine halbe Millionen Euro für externe Dienstleistungen bei der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen verausgabt werden, weil man dafür selbst kein Personal einstellen kann oder will. Die Pläne, offene Stellen in diesem Jahr nicht wieder zu besetzen und auch in den nächsten beiden Jahren keine neuen Stellen in der Verwaltung zu schaffen wie es der Kämmerer angekündigt hat, finden wir als Linke grundfalsch, sehen uns aber trotzdem gezwungen dem Stellenplan zuzustimmen.
Weil wir es zum einen gut finden, dass nicht an den Ausbildungsplätzen gespart wurde. Und weil wir auch weiterhin wollen, dass der Rettungsdienst kommt, wenn uns eines der vielen Schlaglöcher auf unseren Straßen vom Fahrrad geholt hat. Den Personalzuwachs im Bereich der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten begrüßen wir ausdrücklich.
Ich werde natürlich keine Haushaltsrede halten, ohne auf die Wohnungskrise einzugehen. Wir können gar nicht genug auf die Wohnungskrise hinweisen, denn sie trifft die Bürger*innen in unserer Stadt besonders hart. Das zeigt auch die erste Bilanz der Wohnungssicherungsstelle.Viele Menschen sind auf sie zugekommen, weil sie in Notlagen geraten sind. Wegen Problemen mit Vermietenden, wegen Mietschulden aber auch zum sehr großen Teil, weil sie einfach keine Wohnung in dieser Stadt finden.
So gut wir es auch finden, dass die Koalition diese Stelle eingerichtet hat und dass der Zuschuss aus dem Haushalt dafür nächstes Jahr auch erhöht wird, zeigt der Bericht doch eines: Es gibt in dieser Stadt einen großen Bedarf an städtischen Angeboten gegen die Wohnungsnot. Es zeigt auch, dass die Wohnungssicherungstelle ein wichtiges Angebot ist, aber nicht ausreicht. Sie hilft Menschen in Notlagen und das ist auch wichtig und gut.
Was wir als Linke jedoch als zwingend notwendig erachten und weshalb wir dazu auch einen Begleitantrag zum Haushalt eingebracht haben: Die Stadt Offenbach muss sich offensiv und solidarisch auf die Seite der Mieter*innen in dieser Stadt stellen. Sie muss schon im Vorfeld aufklären, welche Rechte Mieter*innen haben. Sie muss den Menschen zeigen – „was ihr an Miete zahlt, ist vielleicht überhaupt nicht im Einklang mit den Regeln, die es dazu gibt“.
Deshalb wollen wir, dass Mittel aus der Öffentlichkeitsarbeit für eine Kampagne bereitgestellt werden, denn das ist Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der Menschen in Offenbach. Und wenn mir irgendjemand hier damit ankommt, dass das nichts bringen soll: Sie haben hier in den vergangenen Jahren einen Kackhaufen durch die Stadt geschickt! Daran möchte ich Sie zum Thema zielgerichteter Öffentlichkeitsarbeit dann vielleicht nochmal erinnern.
Natürlich sehen wir neben der Kampagne auch einen Bedarf, dafür dass die Stadt direkt ansprechbar ist für die Probleme der Mieter*innen. Daher soll es eine Personalstelle beim Wohnungsamt geben, um hier den durch die Kampagne zu erwartenden erhöhten Anfragenbedarf auch auffangen zu können.
Wir haben schon in der letzten Sitzung lang und breit über unseren Antrag diskutiert, mit dem wir die Stadt Offenbach zu einer stärkeren Partnerin für alle Mieter*innen Offenbachs machen wollten. Indem sie zum einen über unverhältnismäßig hohe Mieten aufklärt und zum anderen auch aktiv dagegen vorgeht. Am Ende gab es dann mal wieder das Totschlagargument, dass es nicht genügend Mittel gibt, um das personell zu stemmen.
Auch vor diesem Hintergrund muss man den verhängten Stellenstopp in der Verwaltung kritisch sehen. Man lässt so nicht nur die MieterInnen in dieser Stadt hängen, sondern dem städtischen Haushalt entgehen auch noch Bußgelder, der für überhöhten Mieten fällig ist. Der mickrige Betrag, der dafür im letzten Jahr in den Haushalt geflossen ist, zeigt uns, dass hier erstens offensichtlich überhaupt kein Bewusstsein bei Vermietenden und Mietenden besteht und zum anderen, dass hier eine eklatante ordnungsrechtliche Leerstelle besteht (und das sagen wir als Linke).
Zu unserem Antrag bitten wir Sie daher um Zustimmung.
Dieser Sparhaushalt bedeutet außerdem einen verordneten Stillstand bei vielen wichtigen Aufgaben für eine klimagerechte Zukunft Offenbachs.
Das heißt: Bis auf weiteres kein Ausbau des ÖPNV-Angebots. Die Radverkehrsförderung wurde erst zum letzten Haushalt als Produktkonto neu geschaffen – und für nächstes Jahr wird sie erstmal wieder auf die Hälfte zusammengekürzt. Das Fahrradparkhaus wird jetzt zwar irgendwie doch an den Start gehen, aber Geld hat die Stadt Offenbach auch dafür keines. Ebenso gibt es bei den Maßnahmen zur Umsetzung des Klimakonzepts deutliche Einsparungen, was auch am Schlingerkurs mit den Fördergeldern liegt, den die letzte Bundesregierung hingelegt hat. Ob es die neue Bundesregierung besser hinbekommt – hier kann man berechtigte Zweifel haben.
All das macht es nicht leichter, mit der Mammutaufgabe Klimawandel auf kommunaler Ebene fertig zu werden. Und so manche angefangene Maßnahme führt sich durch die Kürzungen auch selbst ad absurdum.
Bei diesen sogenannten Sparmaßnahmen macht Die Linke nicht mit.
Zu guter Letzt möchte auch zur wirtschaftlichen Entwicklung unserer Stadt ein paar Worte sagen: Der großen Hoffnung unserer Stadt, dem Innovationscampus, liegen ein paar Hindernisse im Weg. Nach all der Selbstbeweihräucherung, endlich wieder Industrie nach Offenbach gebracht zu haben, zeigt sich langsam die Realität: Die Errichtung der Verbindungsstraße zur B448 verzögert sich bis 2029. Auch die Erschließung des Innovationscampus selbst liegt hinter dem Zeitplan. Das heißt: Die erwarteten zusätzlichen Gewerbesteuereinnahmen lassen noch auf sich warten.
Gleichzeitig stirbt bereits angesiedelte Industrie in Offenbach aus. Schramm-Coatings ist geschlossen, als nächstes folgt die Clouth-Lackfabrik. Als Ersatz werden gerne Colocation-Rechenzentren genommen, die viel Fläche einnehmen, viel Energie verbrauchen und wenig Arbeitsplätze bieten. Ist das die wirtschaftliche Zukunft, die wir uns für unsere Stadt vorgestellt haben?
Die Linke ist der Meinung: Offenbach braucht eine Wirtschaftspolitik, die langfristig denkt und nicht nur kurzfristig Lücken stopft. Investitionen statt Sparzwang, Gerechtigkeit bei der Steuerlast, bezahlbares Wohnen, soziales Miteinander und eine nachhaltige Wirtschaftspolitik – das muss unser Weg sein. Dieser Haushalt bietet das nicht, deswegen lehnt die Linke diesen Haushalt ab.
An dieser Stelle übergebe ich das Wort meiner Kollegin Marion Guth.”
Marion Guth:
„Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher, liebe Kolleg*innen,
Seit 12 Jahren verfolge ich die Abstimmung über den Offenbacher Haushalt. Seit 12 Jahren höre ich, dass Offenbach sparen muss. Das ist bis zu einem gewissen Grad in Ordnung, staatliche Ausgaben sollten ja nicht ausufern. Nach mindestens 12 Jahren Sparkurs wird es aber nicht wirklich besser, und das kann eigentlich nicht sein.
Die geplanten Einsparungen haben mich schockiert. Richtig schockiert war ich aber, als ich gesehen habe, was da alles gekürzt wird und über die Folgen nachgedacht habe. Viele der Sparmaßnahmen sehen zwar auf dem Papier hübsch aus, ziehen aber entweder hohe Folgekosten nach sich oder machen Investitionen, die bereits getätigt wurden, zu herausgeworfenem Geld.
Da ist zum Beispiel der Umzug der Bücherei in die Station Mitte. Das Projekt muss immer mehr Federn lassen, der geplante Veranstaltungssaal im obersten Stockwerk wurde schon vor längerer Zeit gestrichen und nun sollen im Erdgeschoss Gewerbeflächen entstehen – dabei war ja das ursprüngliche Problem, wegen dem das Zukunftskonzept aufgelegt wurde, dass die bestehenden Gewerbeflächen nicht ausgelastet sind. Keine 300 Meter weiter stehen im KOMM-Center mehrere Etagen leer. Das liegt sicher auch daran, dass die Eigentümer der Gewerbeflächen in der Innenstadt völlig überhöhte Mietpreise aufrufen, aber das macht die Situation nicht wirklich besser.
Zu den Aufgaben einer Kommune gehört eine umsichtige Stadtplanung, damit werden wesentliche Weichen für das Zusammenleben der Menschen gestellt.
Warum nun ausgerechnet im Gebäude der Stadtbücherei Verkaufsflächen angesiedelt werden sollen, ist mir aus städtebaulicher Sicht schleierhaft. Da geben wir Millionenbeträge aus, um die Bücherei umzusiedeln und neu zu gestalten, und dann wird sie in den oberen Stockwerken versteckt, weil man hofft, in den unteren Stockwerken ein paar Euro Miete einzunehmen. Das ist städtebaulich eine deutlich andere Geste, als eine Bücherei im Erdgeschoss einer Fußgängerzone und es ist auch ein anderer Standort und eine andere Wertigkeit, die man Bildung zuweist.
Noch ein Beispiel: Das Fahrradparkhaus im ehemaligen Toys R Us wurde mit viel Tamtam gebaut, hat ja schon auch Geld gekostet, ist Anlaufpunkt bei Stadtführungen, war aber ewig geschlossen, weil kein Geld für den Betrieb da ist. Nun übernimmt der Fahrradladen den Betrieb für zwei Jahre, aber nur zu den Ladenöffnungszeiten.
Das ist keine angemessene Lösung, und es ist klar, dass es keinen Sinn macht, ein Fahrradparkhaus zu bauen, wenn man den Betrieb nicht stemmen kann.
Der Schultheisweiher ist ein weiteres Beispiel dafür, wie durch sogenannte Sparmaßnahmen Geld im Schlammtümpel versenkt wird.Dazu gab es einen Beschluss von 2019: den Stadtverordneten sollte die Projektplanung und eine überschlägige Kostenrechnung für die Phosphateliminationsanlage vorgelegt werden. Das ist nie passiert. Stattdessen gab es einen Magistratsbeschluss, die Anlage aufzustellen. Die Kosten für Anlage und Errichtung lagen bei knapp 560 000 Euro, die jährliche Folgekosten wurden in der Vorlage auf 150 000 geschätzt. 2023 sind 160 000, 2024 sind 190 000 entstanden. Die Stadt hat bisher also schon über 900 000 Euro für die Anlage ausgegeben.
Der Magistrat hat zum Jahreswechsel beschlossen, dass das Ganze doch zu teuer ist und entschieden, die Anlage abzuschalten, basta. Der Stadtverordnetenbeschluss dazu war offensichtlich egal.
Aber: entweder, man entscheidet sich, dass man sich diese Anlage leisten will und die Folgekosten tragen kann. Das wäre meiner Sicht wünschenswert. Oder man entscheidet sich, dass eine solche Anlage zu teuer ist. Aber sie erst anzuschaffen und zwei Jahre später wieder abzuschalten – beide Male per Magistratsbeschluss, während es einen gültigen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung gab, der ein anderes Vorgehen vorsah – dafür fehlt mir das Verständnis, und zwar sowohl in finanzieller als auch in demokratischer Hinsicht.
Die Stadtverordnetenversammlung hat vor nicht einmal zwei Monaten auf Antrag des Magistrats einen Beschluss zur Sanierung der öffentlichen Toiletten gefasst. Öffentliche Toiletten sind wichtig, nicht nur im Hinblick auf die Sauberkeit der Stadt, sondern auch als Mittel der Inklusion.
Menschen mit Blasenschwäche trauen sich oft kaum aus dem Haus, wenn sie nicht wissen, dass sie auf ihren täglichen Wegen die Möglichkeit haben, eine Toilette zu nutzen. Das betrifft viele ältere Menschen, aber auch jüngere haben mit diesem Problem zu kämpfen. Heute wird die Umsetzung des Beschlusses verschoben, weil der Punkt eben nicht auf der Prioritätenliste des Magistrats steht. Das heißt, dass wir noch einige Jahre länger in einer Stadt leben müssen, die eben wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse ihrer Einwohner*innen nimmt. Ob diese Menschen Verständnis für die städtische Haushaltslage aufbringen, weiß ich nicht, würde es aber eher bezweifeln.
Mit den ewigen Sparhaushalten fallen viele kommunale Gestaltungsmöglichkeiten weg. Das ist nicht schön und es macht nicht wirklich Spaß, Stadtverordnete in einer Kommune zu sein, die ihren Einwohnern weder ein Hallenbad noch andere freiwillige Leistungen anbieten kann.
Wenn jetzt aber der Rotstift bei so notwendigen Punkten wie der Sanierung der öffentlichen Toiletten oder städtebaulich so wichtigen Aspekten wie der Frage, ob sich eine Bücherei im Erdgeschoss befinden sollte, angesetzt wird, sind wir bei unserer endlosen Wanderung durch das finanzielle Tal des Jammers an einem neuen Punkt angekommen, für den mir das Verständnis fehlt.
Investitionen sind aus Sicht der Linken auch an anderen Punkten notwendig, werden aber nicht oder nicht in auch nur annähernd ausreichendem Maß getätigt.
Die Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie hatten gravierende Folgen für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Seitens des Staates wurden ein paar halbherzige Programme aufgelegt, um die Folgen zu kompensieren. Mittlerweile blicken wir auf deutlich gestiegene Fallzahlen und Ausgaben im sozialen Bereich, etwa für die In-Obhut-Nahme von Kindern und Jugendlichen oder die Teilhabeassistenz für die Integration an Schulen. Der Anstieg dieser Zahlen ist laut Erziehungs- und Bildungsbericht nicht nur, aber auch auf die Folgen der Kontaktbeschränkungen während der Pandemie zurückzuführen. Die Probleme ziehen sich durch alle Altersgruppen, seit Corona werden zum Beispiel auch wesentlich weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen als zuvor. Das bedeutet, dass vielen jungen Menschen der Einstieg ins Arbeitsleben nicht gelingt.
Statt das Problem zu erkennen, ging der Bund her und hat die Gelder für alle Maßnahmen gestrichen, die dem entgegenwirken sollen. Die Stadt muss nun einspringen, das kann sie wegen der Haushaltslage eher schlecht als recht, und so werden in diesem Jahr einige Jugendliche keinen Ausbildungsplatz finden, die bei der Suche einfach ein bisschen Unterstützung gebraucht hätten.
In unserer Stadt, die die geringste Kaufkraft Deutschlands hat, machen nur 14,9% der Schülerinnen und Schüler Abitur – deutlich weniger als im hessenweiten Durchschnitt. Gleichzeitig ist die Zahl derjenigen, die ohne Hauptschulabschluss oder nur mit Hauptschulabschluss abgehen, so hoch wie in keiner anderen hessischen Großstadt.
Und während wir jetzt schon überdurchschnittliche Integrationsarbeit mit unterdurchschnittlichen Mitteln leisten müssen, fallen weiter Fördermittel weg.
So zementiert man soziale Ungleichheit und raubt jungen Menschen ihre Zukunftschancen. Das gefährdet massiv das soziale Zusammenleben.
Zurück zu den Sparmaßnahmen:
Auf die nächsten zwei Jahre sind keine neuen Stellen eingeplant.
Die Aufgaben, die eine Stadt erbringen muss, ändern sich aber immer ein bisschen, deshalb wird ja in jedem Jahr ein neuer Haushalt aufgestellt. Schon dieses Jahr ist den Änderungslisten zu entnehmen, dass deshalb in Zukunft höherer Bedarf an externen Dienstleistern entsteht, also an privaten Unternehmen, die Dienstleistungen im Auftrag der Stadt übernehmen.
Das ist eine Milchmädchenrechnung. Ausschreibungen verursachen Kosten. Ziel privater Unternehmen ist es, Geld zu verdienen. Deshalb ist klar, dass Aufträge, die extern vergeben werden, meist teurer werden als wenn sie die Stadt in Eigenleistung erbringt. Derartige Sparmaßnahmen sehen auf dem Papier erst mal gut aus, ich bin aber neugierig auf den Nachtragshaushalt und fürchte ein böses Erwachen in der Koalition.
Aufträge an externe Dienstleister zu vergeben, ist auch keine neue Idee in der Stadtpolitik. Unter Horst Schneider als OB war das gang und gebe. Meist fing es dann damit an, dass für vier- bis fünfstellige Beträge erst einmal externe Gutachten angefordert wurden, um dann Aufgaben für viel Geld auszulagern.
Ein gutes Beispiel ist das Baumgutachten für den Wilhelmsplatz, das es vor ein paar Jahren gab. Die Bäume sahen nicht gut aus und haben die Blätter hängen lassen. Der damalige Magistrat hat für ein paar Tausend Euro ein Gutachten erstellen lassen, das zu dem Ergebnis gekommen ist, man müsse die Bäume mehr gießen!
Das hätte Ihnen jeder städtische Gärtner mit einem Blick sagen können, aber es gibt ja schon lange keine städtischen Gärtner mehr.
Irgendwann ist dann auch dem Magistrat aufgefallen, dass die meisten Leistungen so wesentlich teurer wurden, als wenn sie durch städtische Unternehmen erbracht worden wären. Und jetzt kramt die Koa diesen neoliberalen Ansatz wieder heraus und präsentiert ihn als Sparmaßnahme.
Das zeigt, dass Sie keine Lösungen für die finanziellen Probleme unserer Stadt haben und das lässt mich für die Zukunft Düsteres ahnen.
Wir hören seit Jahren, dass wir sparen müssen und die Schuldenbremse einhalten müssen, koste es was es wolle. Nach Jahren des Sparkurses und des Knauserns bei Ausgaben für die Infrastruktur und den sozialen Bereich wurde auf Bundesebene in dieser Woche ein noch nie dagewesenes Finanzpaket verabschiedet, bei dem die Neuverschuldung überhaupt keine Rolle spielt und von dem der größte Teil für Aufrüstung ausgegeben wird.
Immer mehr Kommunen können derweil die ihnen zugewiesenen Aufgaben nicht mehr stemmen. Viele Grausamkeiten, die anderen Städten drohen, wurden in Offenbach schon umgesetzt. Das städtische Klinikum ist verkauft, wir haben kein Hallenbad mehr und unser Haushalt muss seit gut 10 Jahren vom Regierungspräsidium genehmigt werden. Sichtbare Verbesserungen haben sich dadurch nicht ergeben.
Es ist kein Geheimnis, dass wir in einer Zeit leben, in der sich viele Menschen vom Staat abwenden. Auf kommunaler Ebene wird besonders sichtbar, was der Staat für die Menschen leistet. Der extreme Sparkurs, dem die Kommunen unterworfen sind, wird die Unzufriedenheit in der Bevölkerung noch verstärken und den Nazis Wähler in die Arme treiben.
Wenn Sie mir bis hierher gefolgt sind, können Sie es sich vermutlich schon denken: Die Linke lehnt diesen Haushalt ab, weil wir Menschen vor Profite setzen.
Vielen Dank.”
Bildquellen
- Schichtplan – 5: DIE LINKE KV Offenbach Stadt